Predigt von Bischof Dr. Stefan Oster SDB


Predigt bei der Eucharistiefeier anlässlich des Geburtstags des Hl. Bruder Konrad von Parzham am 22. Dezember 2014 in Parzham
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben, liebe Freunde von Bruder Konrad,
die Texte, die uns die Kirche in ihrer Liturgie für diesen 22. Dezember vorlegt, sind in besonderer Weise geeignet, auch auf den Bruder Konrad hin ausgelegt zu werden. Wir haben aus dem Alten Testament einen Text aus dem ersten Buch Samuel gehört, der uns von den ersten Tagen aus dem Leben eben dieses Propheten Samuel berichtet. Seine Mutter Hanna brachte ihn nach der Geburt zu dem Priester Eli. Sie war ja zunächst kinderlos geblieben, damals eine Schmach für eine Frau. Wir wissen aus der Erzählung der Schrift, wie sehr sie darunter gelitten hatte. Und Hanna hatte sich intensiv im Gebet im Tempel ihrem Gott anvertraut und ihre Not geklagt. Gott hat sie erhört und ihr den Buben Samuel geschenkt. Weil aber in Israel die Erstgeborenen in besonderer Weise Gott geweiht werden sollten, gab Hanna ihren Sohn dem Herrn gewissermaßen zurück. Er soll, so sagt sie im Text, sein ganzes Leben lang ein vom Herrn Zurückgeforderter sein. Liebe Schwestern und Brüder, ich möchte in diesem Zusammenhang - auch im Blick auf unseren Bruder Konrad - vom Geheimnis von Berufung und Erwählung sprechen. Das Wort „ein vom Herrn Zurückgeforderter" lässt sich nämlich auch so deuten: „ein vom Herrn Erwählter."
Liebe Schwestern und Brüder, die allermeisten von uns haben als politische Menschen in der Zwischenzeit gelernt, Demokraten zu sein. Besonders unsere Vergangenheit mit dem menschenverachtenden Regime der Nazizeit, hat uns hier geprägt. Es ist gut, dass wir in einem demokratischen Rechtsstaat leben, es ist gut, dass es möglichst hohe Mitbestimmung und Mitbeteiligung aller Menschen bei politischen Prozessen von Willensbildung und Entscheidung gibt. Es ist gut, dass vor dem Gesetz nach Möglichkeit alle gleich sind und gleich behandelt werden, es ist gut, dass auch Leistung bei uns belohnt wird, sofern sich ein solches Leistungsprinzip im humanen Rahmen hält. Aus der Sicht einer Gesellschaft ist das alles gut und richtig.
Aber wenn wir in unserem gesellschaftlichen Leben nun sehr stark von diesem Denken geprägt sind, dann passt das Wort Erwählung hier gar nicht so sehr hinein. Wie, heißt das, Gott erwählt den einen oder die andere in ganz besonderer Weise? Heißt das, er ruft ihn heraus, stellt ihn vor andere hin uns sagt: Ich habe Dich erwählt – und zwar ganz und gar nicht demokratisch, sondern einfach weil ich es will und nicht, weil Du es durch Deine Leistung verdient hättest. Sondern einfach, weil Du mein geliebtes Kind bist? Ja, das heißt es!
Bruder Konrad war und ist ein vom Herrn in besonderer Weise Erwählter und Geliebter! Die Kirche hat diese Erwählung erkannt und hat ihm nun auch diesen Vorrang eingeräumt: Bruder Konrad ist ein Heiliger, erhoben zur Ehre der Altäre, wie man sagt. Bruder Konrad ist Patron unseres Bistums. Nicht viele von uns haben es bis dahin geschafft oder werden dahin kommen. War das ein demokratischer Prozess? Ganz und gar nicht! Es war eine Erwählung, die ausschließlich von Gott kam und auf die Bruder Konrad mit seinem Leben geantwortet hat.
Ist das nicht ungerecht, fragt sich nun vielleicht mancher von uns? Ist es nicht Willkür? Warum hat Gott nicht auch mich erwählt? Liebe Schwestern und Brüder, der Herr hat auch Sie erwählt und jeden und jede von uns. Er liebt nämlich jeden von uns so, als wäre er oder sie der einzige Mensch auf der Welt. Er hat in jeden von uns etwas hineingelegt, was einzigartig ist. Niemand ist genau so wie Sie es sind, niemand sieht die Welt so wie Sie, niemand hat dasselbe Herz, dieselbe Seele, dieselben Gedanken. Jeder Mensch ist einzig und als einzigartiger von Gott geliebt und erwählt.
Aber, werden Sie fragen, wozu bin ich denn dann in dieser Einzigartigkeit erwählt? Diese Frage, liebe Schwestern und Brüder, die klärt sich nur und ausschließlich durch Ihre Beziehung zu Christus, zu Gott und in der Kraft der Qualität dieser Beziehung. Mich hat immer wieder ein Zitat von Ignatius von Loyola, dem Gründer des Jesuitenordens, tief berührt. Er hat gesagt: „Die meisten Menschen ahnen nicht, was Gott aus ihnen machen könnte, wenn sie sich ihm nur zur Verfügung stellen würden." Die Qualität unserer Gottesbeziehung lebt aus unserer Antwort auf seine Liebe. Sie lebt aus der wachsenden Fähigkeit, uns Ihm zur Verfügung zu stellen. Bei unserem Bruder Konrad haben die Menschen offenbar schon früh gespürt, dass ihn eine besondere Frömmigkeit auszeichnete. „Vom Birndorfer Hansl müssen wir das Beten lernen", haben die Leute gesagt, die ihn hier in der Umgebung des Venushofes erlebt haben. Was heißt das? Das Beten von ihm lernen? Es heißt, dass das Leben des Bruder Konrad offenbar ein beständiges Leben im liebenden Blick Gottes war.
Er wusste sich bei Gott aufgehoben, er wusste sich bei der Mutter Gottes aufgehoben. Und er hat als vertrauender, als betender Mensch immerfort darauf Antwort gegeben. Er war viel mehr bei Gott als bei sich selbst. Oder umgekehrt formuliert: Gerade weil er innerlich bei Gott war, war er tiefer bei sich selbst – und hat gerade dadurch Schritt für Schritt erfahren, wozu er erwählt, wozu er berufen war. Nicht sofort, sondern eher wie eine Knospe, die langsam aufgeht und sich zur Blume entfaltet, in der aber am Anfang schon alles drin liegt. Das Beziehungsleben mit Gott hat in Bruder Konrad immer mehr die Einzigartigkeit seiner Berufung und Erwählung hervortreten lassen. Gott hat sie in ihm gewissermaßen „hervorgeliebt", so wie die Sonne die Blume anstrahlen und aufgehen lässt.
Und wenn wir nun meinen, liebe Schwestern und Brüder, dass dieses Leben mit Gott und in Gott, dieses Leben, in dem die Einzigartigkeit der Erwählung zum Ausdruck kommt, besonders angenehm gewesen wäre, dann täuschen wir uns. Oder wir täuschen uns wenigstens, wenn wir nur mit den natürlichen Augen dieser Welt draufschauen. Ein Leben in Demut, in Niedrigkeit, in beständiger Hingabe, in beständiger Dienstbereitschaft, in beständigem tiefem Gebet ist nicht gerade das, was der natürliche Mensch in uns so ersehnt. Wenn sich diese rein natürliche Seite in uns nach Erwählung sehnt, dann sehnt sie sich nach Anerkennung, nach Ruhm und Prestige und nach einem angenehmen Leben. Aber die Einzigartigkeit in Bruder Konrads Erwählung bestand darin, dass er auf das Kreuz geschaut hat, beständig. Die Meditation des Abstiegs unseres Herrn hinein in unser beschwerliches Leben, die liebende Meditation des Kreuzes war sein Lebensbuch. In ihm hat Bruder Konrad gelesen, nicht einfach wie man ein normales Buch liest, sondern mit Herz und Verstand, mit Liebe und Glauben. Und so hat er in fortwährender Beziehung mit Christus und seiner Mutter dem entsprechen gelernt, wozu ihn Gott erwählt hatte, was er in ihn hinein gelegt hat. Erwählung und Berufung gewinnen Schritt für Schritt Gestalt und werden vom Ende eines Lebens her schließlich anschaubar. An Bruder Konrad sehen wir in der Rückschau seines Lebens:. Dazu hat Gott ihn erwählt. Erwählung in der Kirche ist also nie einfach nur eine Ausstattung mit Privilegien vor allen anderen. Sie ist immer auch Pro-Existenz. In der Erwählung durch Gott wird immer auch deutlich, wozu sie geschieht. Sie ist in der ganz spezifischen Weise des Erwählten Leben in der Kirche, Leben vor Gott und Leben für die Menschen.
Die Mutter Gottes hat uns heute im Evangelium ihr Magnificat gesungen, in dem es auch um ihre Erwählung geht: Sie preist ihren Gott mit ihrer ganzen Seele, denn er hat - so heißt es wörtlich – auf die Niedrigkeit seiner Magd geschaut. Siehe von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Auch Maria hat mir ihrem ganzen Ja, mit ihrer ganzen Existenz geantwortet, sie war sogar die Allererste, die dieses Ja mit ganzem Herzen, ganzer Seele, ganzer Kraft und ganz ungebrochen gegeben hat. Sie ist der Anfang der Kirche. In Maria und mit ihr lernen auch wir dieses Ja zu geben. Denn jeder und jede von uns, die wir alle getauft sind, trägt eine Erwählung in sich. Und die Aufgabe in jedem von uns bleibt es, so in die Beziehung mit dem Herrn hinein zu finden, dass wir immer besser verstehen lernen – von innen her – wozu uns der Herr dort hin gestellt hat, wo er uns hin stellt. In jedem Fall hat auch das mit dem Lernen von Demut zu tun. Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen, hören wir aus dem Mund der Mutter Gottes. Die Kirche hat in der Zeit des Herrenmenschentums 1934 den armen, den niedrigen Bruder Konrad im Namen Gottes erhöht. Nicht die Selbsterhöhung des Menschen ist vor Gott groß, sondern der demütige Wille, sich Ihm ganz anzuvertrauen und ganz Ihm gehören zu wollen. In dem Maß, in dem wir alle das tun, finden auch wir, jeder von uns, immer mehr in unsere einzigartige Erwählung und Berufung hinein. Ich verstehe freilich jeden und jede, der vor einem solchen Ja, wie es die Mutter Gottes und Bruder Konrad gegeben haben, zunächst zurückschreckt. Es gibt eine Seite in uns, die diesem Frieden, die auch diesem Gott nicht traut. Es gibt eine Seite in uns, die nicht demütig sein, die vielmehr selbst Chef des eigenen Lebens bleiben will.
Aber ich darf Ihnen wirklich versichern: Gott kennt auch diese Not in uns allen. Er kennt unser Misstrauen gegen Ihn, er kennt unsere inneren Hindernisse, er kennt unsere Hartherzigkeit. Auch deshalb, liebe Schwestern und Brüder, wird es immer wieder Weihnachten. Jahr für Jahr wird uns von neuem deutlich, dass Gott, der Allmächtige, der Weltenherrscher, eben nicht zuerst als dieser Weltenherrscher zu uns kommt. Er will, dass wir ihn verstehen und nicht missverstehen. Er kommt deshalb zuerst als Kind. Er will sich uns von Maria in die Arme und ans Herz legen lassen, damit wir immer mehr vertrauen lernen, damit wir immer tiefer unser Ja zu Ihm sprechen lernen, damit wir immer mehr finden, zu welcher einzigartigen Berufung und Sendung dieser Gott auch jeden von uns erwählt hat. Und auf dass Sie alle in Ihrer Suche danach, in der Tiefe der je eigenen Antwort wieder ein Stück weiterkommen, dazu segne Sie für Weihnachten und das kommende Jahr der allmächtige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.